Als meine Familien hier Anfang der 80er ein Reihenhaus bezog, pflanzte meine Mutter mit uns im Garten einen Kirschbaum und in den Beeten Salat und Kräuter. Dann kamen die Schnecken, frassen an dem jungem Grün und unseren Elan. Noch als meine Mutter selbst ein kleines Mädchen war, gab es im Rheingauer Garten meiner Oma und Urgroßeltern Obstbäume, Gemüse und Kräuter und einen Stall mit Hühnern. Nach und nach ist all das verschwunden. Der letzte Obstbaum fiel, als ich Teenager war und übrig blieben Schnittlauch, Petersilie und Pimpernelle.
Sowohl meine Oma, als auch meine Mutter waren bis zum Rentenalter voll berufstätig und mit der Kindererziehung weitestgehend auf sich allein gestellt. Neben Arbeit, Haushalt und Familienleben blieb nicht viel Zeit für intensive Gartenpflege oder das Verarbeiten von selbstgezogenem Obst und Gemüse. Doch das war sicherlich nicht der einzige Grund, warum nicht nur in den Gärten unserer Familie, sondern auch auf vielen anderen Grundstücken die Nutzpflanzen gegen Zierpflanzen ausgetauscht wurden.
Wenn ich heute durch das Viertel spaziere, in dem ich groß geworden bin, sehe ich fast in keinem Garten mehr Obstbäume, Beerensträucher und Gemüsepflanzen. Doch ich kann mich erinnern, dass das während meiner Kindheit noch ganz anders aussah. Neben vielfältigen Nutzgärten gab es Nachbarn, die Hühner hielten (auch damals in einer Reihenhaussiedlung eher ungewöhnlich) und jemand hatte einen großen Außenstall mit einer Kaninchenzucht. All das gehört der Vergangenheit an.
Ich denke, es ist nicht nur der Faktor Zeit, dem der Schwund der Nutzgärten zu verschulden ist, es kam auch einfach aus der Mode, selbst Nahrungsmittel anzubauen. Vielleicht galt es in der Kleinstadt sogar als rückständig und nicht urban. Gemüse und Obst kauft man lieber im Supermarkt, wo es immer Südfrüchte gibt und Sommergemüse auch im Winter.
Der eigene Garten soll zudem den Kindern als Spielfläche zur Verfügung stehen. Inzwischen sind die Grundstücke der Vorstadt-Neubauten allerdings oft extrem beengt und es lassen sich „toben“ und „kultivieren“ nicht unbedingt vereinbaren. Hat man gemietet mit dazugehörigen Garten, kann man dort auch nicht ohne Weiteres nach den eigenen Ideen schalten und walten.
Ich selbst hatte in den vergangenen Jahren alle Pflanzen verschenkt. Ein Balkon stand mir zwischenzeitlich gar nicht mehr zur Verfügung und meine Kräuter mussten auf der Küchenfensterbank wachsen. Mehr lies sich mit meinem Lebensstil an zwei Orten nicht vereinbaren. Denn wer gärtnern will, muss sesshaft werden – oder einen guten Pflanzensitter haben.
Aus all diesen Gründen finde ich es besonders toll, dass sich gerade da, wo die Bedingungen für das Züchten von Gemüsepflanzen nicht gerade die Einfachsten sind, Menschen besonders dafür begeistern: in der Großstadt. In Berlin, so scheint es mir, nutzen Bewohner oft jede Möglichkeit, essbares Grünzeug selber zu kultivieren. Tomatenpflänzchen sind dabei so etwas wie der Klassiker. Neben den traditionellen und schirr unzähligen Schrebergärten im Stadtgebiet, entstehen heute vielfältige neue grüne Initiativen.
„In einer Großstadt ist Gärtnern wohl das Trotzigste, was man tun kann.“
Aus einem TED Talk von Ron Finley ¹
Uns steht aktuell ein schmaler Südseiten-Balkon zur Verfügung und ich versuche hier, ein paar Tomaten, Zucchini und Radieschen zu züchten. Mit den Kräutern hat es im vergangenen Jahr sehr gut funktioniert. Warum wir regionales Bio-Gemüse bevorzugen, ist in meinem Beitrag über unsere Gemüsekiste nachzulesen. Wir haben auch schon überlegt, was neben dem eigenen Balkon sonst noch für uns in Frage käme, um etwas eigenes Gemüse anbauen zu können. Ein Schrebergarten ist keine realistische Option. Mal ganz davon abgesehen, das die in Berlin bestimmt nicht einfach zu bekommen sind, wäre ein ganzer eigener Garten, für den wir alleine zuständig sind, dann doch ein Tick zuviel für uns.
Was gibt es noch für Möglichkeiten? Eine Initiative, die uns sehr gut gefällt sind die Bauerngärten. Ein Projekt des Bio-Bauern Max von Grafenstein, welches mittlerweile deutschlandweite Bekanntheit erreicht hat. Leider ist in Pankow und auch an den anderen Standorte aktuell keine Parzelle mehr frei.
Bei den Bauerngärten pachtet man für ein Jahr eine Parzelle für den Bio-Gemüseanbau. Die Parzelle in Form eines „Tortenstücks“ ist Teil eines großem, im Kreis angelegten Gartens. Wenn man sie im Frühjahr übernimmt, ist der Boden bereits vorbereitet und mit Jungpflanzen und Saatgut bestückt. Ich mag dabei neben der Idee des selber Gärtnerns, besonders der Gemeinschaftsgedanke: sich austauschen, gegenseitig helfen und vielleicht auch mal zur Erntezeit zusammen einkochen.
Mit einem ähnlichen Konzept sind etwas kommerzieller und überregional die Ackerhelden aktiv– und in Berlin Teltow ebenfalls ausgebucht.
Hof Wendelin, Film: fest87.de
Eine weitere Möglichkeit wäre CSA: Communities Supporting Agriculture. In Deutschland heisst das Solidarische Landwirtschaft (SoLawi): „In der solidarischen Landwirtschaft tragen mehrere Privat-Haushalte die Kosten eines landwirtschaftlichen Betriebs, wofür sie im Gegenzug dessen Ernteertrag erhalten.“²
Als Teilnehmer erhält man für einen vorab übers Jahr festgelegten monatlichen Betrag seine wöchentliche Bio-Gemüselieferung. Wo man da noch selber gärtnert? Nun, mit einem geringen Arbeitsaufwand beteiligt man sich an der Arbeit auf dem Acker. In Berlin gibt es zum Beispiel SpeiseGut, ein Projekt initiiert durch den gelernten Bio-Bauer Christian Heymann.
SpeiseGut, Film: Onionfilms
Neben diesen eher landwirtschaftlichen Projekten existieren in der Hauptstadt eine Vielzahl von Urban Gardening Initiativen. Die Projekte sind alle etwas unterschiedlich konzipiert und organisiert. Fast immer steht das Lernen und das gemeinsame Erwirtschaften von Kräutern, Früchten und Gemüse im Fokus. Da gibt es zum Beispiel den Gemeinschaftsgarten Himmelbeet im Berliner Wedding oder den Stattgarten Wedding am alten Stadtbad. Am Wuhlewanderweg in Köpenick liegt der Wuhlegarten. Der Permakultur-Bürgergarten „Helle Oase“ befindet sich in Berlin-Hellersdorf und in Kreuzberg findet man den nahezu berühmten Prinzessinnengarten. Es sind so viele Gartenprojekte in Berlin und die Stadt ist groß. Auf stadtacker.net sind zahlreiche der existierenden Initiativen eingetragen. Übersichtlicher wird die Vielfalt dadurch für mich leider nicht so recht.
Und wer von Euch kennt Mundraub.org? „Freies Obst für freie Bürger – nach diesem Motto engagiert sich die Initiative Mundraub.org seit drei Jahren für das Bewusstwerden und den Erhalt der natürlichen Obstressourcen als Teil unserer Kulturlandschaft.“³
Kernstück der Organisation ist die Mundraub Map. Auf dieser interaktiven Karte findet man freizugängliche Obstbäume, Wildfrüchte und Kräuter. Parallel kann man dort eigene Fundorte eintragen. Außerdem gibt es eine Facebook Gruppe, in der man sich über das Sammeln, Anbauen, Ernten und Verarbeiten von Obst austauschen kann.
Hat man erst einmal angefangen den grünen Daumen zu reaktivieren, ist es besonders schön zu sehen, dass man nicht die Einzige ist, die es mit dem Grünzeug im Eigenanbau versucht. Inzwischen konnte ich schon so viele „entdecken“, die ebenfalls kleine Gemüsepflänzchen gezogen haben und ausprobieren, was auf dem Balkon alles wächst, so wie ich ihre grünen Schützlinge gegen Blattläuse verteidigen, Beeteinfassungen selber bauen und frisches Grün in improvisierten Gewächshäusern züchten.
Letztens stand ich im Garten einer Freundin und während mir ihr Sohn die gepflanzten Obstbäume zeigte, entdeckte ich zwischen Blumen und Sträuchern ein Gemüse- und Kräuterbeet, in dem prächtiger Kohlrabi wuchs. „Das ist toll!“ Denn es ist ja so: damit die Kids Bewusstsein und Engagement für Nachhaltigkeit und Ökologie entwickeln, braucht es intensiv Naturerfahrungen.
Es klingt vielleicht komisch, doch hätte ich als Kind keine Minigärten aus Bohne-, Erbsen- und Kressepflanzen gezüchtet oder niemals Weinbergschnecken in leeren Gurkengläsern gesammelt und mir Gedanken gemacht, was die wohl fressen oder nicht mit den anderen Mädels verbotener Weise im Wald gespielt, um dort Hütten zu bauen, dann hätte ich zu all dem keine so emotionale Verbindung. Dann würde mir heute womöglich die Sensibilität dafür fehlen, dass es unverzichtbar ist, sich stetig und so wie es einem möglich ist für den Erhalt und das Gleichgewicht unserer Natur einzusetzen. Es könnte der innere Antrieb fehlen, immer wieder Ohren und Augen offen zu halten. Ich hätte vielleicht auch kein Bewusstsein dafür, dass allein die Spende an eine Umweltorganisation, das wählen einer Partei oder das Kaufen von Frischeprodukten mit Bio-Siegel ungeachtet der Herkunft keine Lösung für bestehende Probleme ist.
Manch einer würde sagen, ich verhalte mich aktivistisch. Leider ist das Benennen von Aktivismus häufig gar nicht schmeichelhaft gemeint, denn das Bewusstmachen von Missständen ist für die anderen unbequem. Man hat schon so viel um die Ohren und reagiert auf solches Engagement ablehnend und genervt. Ich denke, wir sollten mehr Anerkennung für diese engagierten Menschen in unserem Umfeld aufbringen. Auch dann, wenn wir gefühlt das hundertste Mal auf Tierquälerei, schädliche Zusatzstoffe und die x-tePetition hingewiesen werden.
Und wenn Ihr diesen Beitrag wirklich bis hierhin gelesen habt, dann möchte ich noch ergänzen: Ich selbst halte mich lediglich für eine aufmerksame, interessierte Person, die so wenig weiß und die noch so viel lernen kann. In diesem Sinne: Tipps und Ergänzugen zum Thema sind wie immer willkommen!
¹ Aus Einfach. Jetzt. Machen! Wie wir unsere Zukunft selbst in die Hand nehmen von Rob Hopkins, Seite 88, oekom Verlag München 2014
² solidarische-landwirtschaft.org
³ mundraub.org
Hinter Nocali steht Nicola. Wandelnd, gestaltend und mit der Profession, die inneren Zusammenhänge durch äußere Formen darzustellen.
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2 Comments
Sehr, sehr toller Beitrag Nicola!! Ich denke, das ist eine Bewegung mit Zukunft. Und ich freue mich über jede neue Grünpflanze, egal welcher Art, die ich im urbanen Umfeld bemerke. Egal ob auf öffentlichen Grünflächen, Dächern oder Balkonen. Ich bin halt auch ein kleiner Urban Jungle Blogger:-)
Lieber Igor, das freut mich sehr, wenn Dir der Beitrag gefällt. Ich bin gespannt, wie sich das alles weiterentwickeln wird.