Ich war 16 Jahre alt, als ich diese Seiten aus einem Brigitte Heft raus riss. Der Stil von Katrin Seidel gefiel mir gut. Vieles in diesem Wohnportrait traf genau meinen Geschmack: die Schwarz/Weiß Konsequenz im Zusammenspiel mit warmen Holztönen, die weißen Lilien – meine Lieblingsblumen – und das alte schwarze Telefon auf dem Rollladenschrank, das Metallschränkchen im Bad mit den hübschen Kleinigkeiten darauf und Katrins puristischer Kleidungsstil. Das Jean-Luc-Godard-Poster erinnerte mich an Szenen der französischen Spielfilme, die bei uns Zuhause oft geschaut wurden. Die Seiten wanderten also in meine Sammelbox und obwohl man gar nicht soviel sieht auf diesen Bilder, sind sie mir immer im Gedächtnis geblieben. Besonders das Arrangement mit dem Rollladenschrank hatte es mir angetan. Lange habe ich nach solch einem Schränkchen gesucht. Eine Weile gab es ein sehr schönes Modell bei einem Hamburger Versandhaus. Doch das Stück war damals zu teuer für mich und später gab es das Möbel nicht mehr. Einmal fand ich einen solch alten Rollschrank in sehr gutem Zustand bei einem Trödler für einen Spottpreis und verschenkte ihn, denn ich dachte: so etwas findest Du immer wieder. Sicherlich ist das auch so, doch mittlerweile habe ich genug andere Möbel und für jedes neue Stück müsste ich auf ein anderes verzichten. Es wird also nicht benötigt und deswegen suche ich nicht mehr danach. In unserer Gesellschaft wird Erfolg oft darüber definiert, dass man sich stetig mehr leisten kann. Dazu gehört auch, über immer mehr Wohnraum zu verfügen. Wohnraum, der mit immer mehr Möbeln und anderen Dingen gefüllt wird. Natürlich benötigt eine Familie ein größeres Zuhause, als ein allein Lebender oder ein Paar. Doch nicht Wenige der westlichen Welt verfügen über weit mehr Quadratmeter, als sie benötigen. Ein Zuhause ist ein Statussymbol; je größer, desto besser. So haben wir das gelernt. Doch kann man sich auch ganz bewusst gegen die stetige Vergrößerung entscheiden. Zum Beispiel, weil man viel Wohnraum und materiellen Besitz als Belastung empfindet, der einen unnötig bindet und einengt. Oder weil man an einem Ort leben möchte, an dem Wohnraum sehr rar ist. Oder weil man an zwei Orten parallel über ein Zuhause verfügen möchte, usw. Sich jedoch gegen das Ansammeln von immer mehr Dingen zu entscheiden heißt, sich gegen bestimmte Mechanismen unserer Konsumgesellschaft zu entscheiden. Ein harte Kampf, der Disziplin erfordert. Gesammelt habe ich immer gerne, sonst hätte ich ja keine Sammelbox. Jedoch überlege ich mir gut, was es wert ist, dass ich es bei jedem wohnlichen Ortswechsel mitschleppe. Dazu muss ich sagen: in den vergangenen 10 Jahren bin ich 5 Mal umgezogen. Ich versuche also Angesammeltes regelmäßig zu reduzieren und Besitz oder geplante Käufe danach zu bewerte, ob ich dieses oder jenes wirklich brauche. Und so kommt es, dass ich etwas, was ich schon so lange begehre wie dieses Rollschränkchen, nicht besitze. „Es gibt so viel und deswegen brauche ich so wenig“, von diesem geplanten „wenig“ bin ich noch weit entfernt. Doch jeden Schritt, den ich bewusst darauf zugehen, empfinde ich als Befreiung.
Aus „Brigitte“, 22/1990, Seite 34-38
Fotos: Metta Holst
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Hinter Nocali steht Nicola. Wandelnd, gestaltend und mit der Profession, die inneren Zusammenhänge durch äußere Formen darzustellen.
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5 Comments
Sehr zeitlos der Artikel aus der Brigitte! Könnte schon fast wieder aktuell sein.
Deine Worte haben mich sehr bewegt. Ja, manchmal ist es nicht einfach sich gegen ständige Vergrößerung, gegen immer Mehr zu entscheiden…und sich mit dem zufrieden zu geben, was man hat.
Das ist ja genau mein Motto für dieses Jahr, nur wirklich treffend und schön formuliert, vielleicht wird das die Überschrift für meinen nächsten post. Danke!…ich habe für mich auch beschlossen, bewusster und „Preis-werter“ zu konsumieren und zu leben…mal sehen, wie ich das schaffe…ein langer Weg…
ich gebe zu, ich sammel sehr viel, aber witziger Weise habe ich auch genau diesen Bericht aufbewahrt !
Das ist allerdings ein witziger Zufall! :)
ich hab genau diese seiten auch lange aufbewahrt, mittlerweile habe ich nur noch das bild mit den beiden stühlen und dem glastisch. – es hat mich seltsam berührt, die seiten nach 20 jahren wiederzusehen.